Vatikan: Ein neues Leitbild für Leitung

Ein Kommentar von Eckhard Bieger S.J.

Papst Franziskus ändert das Leitbild der Kirche - ein österlicher Aufbruch?!

Wenn man als Katholik nach Rom fährt, kommt man mit einem anderen Blick zurück. Vor allem, wenn ein Papst so auf Veränderung drängt. Die deutschen Katholiken und mit ihnen die deutschen Medien sehen den Vatikan Rom immer noch als die alles bestimmende Zentrale, aus der die Katholische Kirche gelenkt wird. Das war auch so, seitdem der Vatikan sich vom Einfluss der Habsburger Kaiser frei gemacht hat und durch Telegraphie und das Telefon ermöglichte, zeitnah Einfluss nehmen konnte. Dem Vatikan ist es auch gelungen, den Einfluss der Staaten auf die Auswahl der Bischöfe zurückzudrängen. Die Geschichte ist aber längst weiter gegangen.

Trotzdem regiert die Köpfe der Deutschen noch immer das bisherige Bild von einer europäisch gelenkten Kirche, deren Machtzentrum aus Rom in die Angelegenheiten einer örtlichen Kirche willkürlich eingreift. Man hält immer noch an dem Bild fest, dass eigentlich alle wichtigen Fragen in Rom entschieden und die deutsche Kirche von Rom "ferngelenkt“ würde. Das scheinbar "willkürliche" Eingreifen des Vatikans in deutsche Angelegenheiten ist auch nur die halbe Wahrheit. Denn die meisten als Eingriffe verstandenen Maßnahmen erfolgten auf Initiative von Gruppierungen in Deutschland, die sich an den Vatikan wandten, weil sie mit Entscheidungen der hiesigen Bischöfe nicht einverstanden waren. Noch häufiger delegierten deutsche Bischöfe, wenn sie sich nicht einigen konnten, Entscheidungen nach Rom.

Es sind weniger gesamtkirchliche Regelungen möglich

Die Entscheidungskompetenz des Papstes weckt die Erwartung, dass er möglichst jede Frage regelt. Da der Vatikan nach den Gesetzlichkeiten einer Behörde funktioniert, braucht er wie die anderen Behörde eine Instanz, die Regelungen in Kraft setzen kann. So drängen die vatikanischen Ministerien, Dikasterien genannt, Regelungen einzuführen. Denn dann können die Beamten eingreifen. Das funktioniert bisher vor allem nach europäischem Muster. Doch immer mehr zeigt sich, dass der argentinische Papst viele Fragen anders sieht und anders angeht. Beispiel: Der Missbrauch. Hier setzt sich auch außerhalb Europas die Erkenntnis „Null Toleranz“ durch. Das war das Ziel des Anti-Missbrauch-Gipfels im Februar, als der Papst die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen in Rom versammelt hatte. Das Ziel war nicht ein autoritärer Durchgriff, sondern die Einsicht, dass Missbrauch nicht nur ein Problem "westlicher" Gesellschaften ist.

Von der europäisch-vatikanischen zur multikulturellen Papstkirche

Das Papstamt ist nie so monolithisch gewesen wie in den letzten Jahrzehnten. Es war zudem europäisch programmiert, sind doch die Bistümer in Asien, Afrika und Amerika europäische Gründungen. Nicht nur löst sich die katholische Kirche von Europa, auch das Papstamt wird nicht mehr europäisch, sondern global ausgeübt. In Rom hilft ein Gang zum Petersplatz zur Generalaudienz des Papstes jeweils am Mittwochvormittag, um die katholische Kirche so wahrzunehmen, wie sie ist. Auf dem Petersplatz gibt es keine privilegierten Plätze, noch nicht einmal für italienische Schulen Pfarreien, Verbände. Innternational geht es auch bei den Sprachen zu. Neben italienisch, französisch, spanisch, portugiesisch, deutsch und englisch werden die Christen aus dem Nahen Osten in arabisch begrüßt.

Auch wenn Englisch, Spanisch oder Französisch gesprochen wird, die afrikanischen oder asiatischen Diözesen sind genauso wenig wie die Diözesen auf dem amerikanischen Kontinent längst keine Ableger Europas mehr. Die Kulturen, auch die kirchlichen mit ihrer Liturgie, ihren Gemeindestrukturen und ihrer religiösen Grundbefindlichkeit sind groß, vielfältig und eigenständig, als dass sie noch von einer europäisch geprägten Theologie, Liturgie und religiösen Praxis geprägt werden könnten. Entscheidend für das Unabhängigwerden von Europa ist die religiöse Vitalität der jungen Kirchen. Schon wegen der Erschlaffung des Christentums in den Ländern, die früher Missionare in alle Welt ausgesandt haben, verändert den Blick der römischen Zentrale auf das vielfältige katholische Leben.

Die Ordensspiritualitäten gelingen in verschiedenen Kulturen

Es gibt ein religiöses Exportgut, das in den verschiedenen Kulturen „funktioniert“. Es sind die spirituell geprägten Ordensfamilien, die Benediktiner, die Franziskaner, die Dominikaner, die Jesuiten und auch jüngere spirituelle Aufbrüche, die weltweit neue kleine christliche Gemeinschaften gründen. Eine römische Kirche kann noch weniger als das alte Westeuropa auf ein Papstamt verzichten. Es wird aber ganz anders ausgeübt werden. Mit dem argentinischen Papst wird es nur noch deutlicher, was seine Vorgänger vorbereitet haben: Die katholische Kirche lebt in verschiedenen Kulturen jeweils anders und ist doch eins. 

Der Bericht fußt auf Gesprächen in Rom, die der Verein publicatio e.V. Anfang April 2019 organisiert hatte.

Ein Kommentar von Eckhard Bieger S.J.

Foto: Christian Schnaubelt

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